Point 2

Wir befinden uns am unteren Rand des auf dem Gemälde (nächste Abbildung) und in der Luftaufnahme mit „ 9 “ gekennzeichneten Bereiches.

Beim Gang durch den Tunnel sind wir von Charlottenburg nach Wilmersorf gelangt. Ursprünglich gehörte der gesamte Bereich des Bahnbetriebswerks [ab 1929: Eisenbahnmeisterei] Charlottenburg zu Charlottenburg, seit dem 01.01.1938 befand sie sich nun tatsächlich und vollständig in Wilmersdorf.

Wir befinden uns nun am mit „ 9 “ gekennzeichneten Tunnelausgang. Im Gemälde von Conrad Felixmüller ist dieses kleine Detail nur schwach (dunkleres Blau unterhalb der „ 9 “) zu erkennen, stellt aber heute für uns eine interessante Orien-
tierung dar, weil sowohl die Brücke „ 7 “ als auch der Schornstein „ 10 “ nicht mehr vorhanden sind.
Tunnelausgang

Es hat den Anschein, als befinde sich der ganze Bereich links neben dem Tunnelausgang – der Brückenaufgang „ 7 “, die Brückenpfeiler, die gesamte Fläche bis hin zur links hinter dem Gebäude (Rundlokschuppen) verschwidenden S-Bahn – auf einer Ebene. Tatsächlich ist das aber nicht ganz so. Unmittelbar links hinter dem Tunnelausgang „ 9 “ kommt zu jener Zeit das stadtAUSwärts führende Gleis der S-Bahn-Südkurve ebenfalls aus einem Tunnel, der – genau wie der nahezu parallel verlaufende Fußgängertunnel – die Gleise der S-Bahnen von/nach Grunewald [weiter nach Potsdam] sowie von/nach Spandau unterquerte. Der weitere Verlauf der stadtauswärts führenden S-Bahn-Südkurve deckt sich (unter Berücksichtigung der perspektivischen Verzeichnung) mit dem Verlauf der Brücke „ 7 “ ⇒ wird also quasi bei wohlwollender Betrachtung von ihr verdeckt. Das Weglassen dieses nicht unwesentlichen Details ist für einen Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ schon bemerkenswert. Wir werden im weiteren Verlauf der Betrachtung dieses Gemäldes noch an einer anderen Stelle die Weglassung eines nicht unwesentlichen Details bemerken und diskutieren. Dort – wie vermutlich auch hier – würde die detailgetreue Abbildung (ein Merkmal der „Neuen Sachlichkeit“) jedoch das Auge des Betrachters verwirren. Daher darf wohl vermutet werden, dass sich der Maler auch hier aus gleichem Grund für das komplette Weglassen dieses zusätzlichen Gleises entschieden hat. Uns hat es jedoch verwirrt, so daß wir dieses Detail erst auf Hinweis eines Besuchers unserer Führung 2023 erkannten. Vielen Dank!

Die unterquerende Gleisein- und -ausfahrt ist links auf dem Luftbildausschnitt von 1954 deutlich zu erkennen.



Auch im links unten dargestellten Ausschnitt des Gleisplanes von 1977 ist das stadtauswärts führende Gleis der S-Bahn-Südkurve eingezeichnet und wurde zu dieser Zeit auch genutzt. Es wurde zwar durch den Ringschluss und den Bau des Westkreuzes nicht mehr benötigt, abgerissen, aber dann mehrfach wieder aufgebaut.
Erst 2001 bis 2004 wurden die Gleise endgültig abgebaut und der Tunnel zugeschüttet. Er existiert nicht mehr – wohl aber die Böschung.

Diese zweite Ebene des unterquerenden Gleisbettes können Sie auch heute noch gut erkennen, wenn sie hier am Point 2 aus dem Tunnel „ 9 “ kommend auf die linke Seite durch den Zaun der hier stark abfallenden Böschung blicken.

Dieses Gleis, nenne ich künftig einfach mal „Tunnelgleis“ — weil es das einzige Gleis auf dem ganzen von uns betrachteten Gelände des »WestkreuzPark!« ist, das durch gleich drei Tunnel/Unterführungen [bei allen anderen ist es – wenn überhaupt – höchstens eine] hindurch verläuft. Es sind dies

  1. die hier am Point 2 (bei „ 9 “) nahezu parallel zum Fußgängertunnel verlaufende Unterführung unter den S-Bahngleisen von/nach Spandau und Grunewald (Potsdam),
  2. die Unterführung am Punkt „ P [wir besuchen diesen Bereich später am Point 12] unter die nicht mehr existierenden Gleise der Nordkurve (ehem. zwei Fernbahngleise und das stadteinwärtsführende Gleis der S-Bahn-Nordkurve),
  3. sowie im weiteren Gleisverlauf die Unterführung unter den Fernbahngleisen von/nach Wannsee und Spandau. Diese Unterführung benutzen wir später auch, wenn Sie uns auf dem Weg von Point 9 [Fernbahnunterführung] zu Point 10 [Wasserwerk] begleiten.

Also dieses Tunnelgleis hat wohl die aufregendste und abwechslungsreichste Geschichte aller Gleise hier im Bereich hinter sich. Das hängt damit zusammen, dass die sogenannte Südringkurve von der Stadtbahn in den südlichen Teil der Ringbahn (Charlottenburg Halensee) schon von Anfang an – also schon zu Zeiten, als die Züge hier noch von Dampflokomotiven gezogen wurden – eine große Bedeutung hatte. Der Bereich des Südring zwischen Halensee und Innsbrucker Platz (sechs Stationen auf einer Länge von 4,4 km) hatte sich schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Wohngegend mit vielen finanziell besser gestellten Einwohnern entwickelt. Die Verbindung über die Stadt- und Ringbahn in die Berliner Innenstadt war in vielen Bereichen der südlichen Ringbahn schneller, als die Fahrt mit der Straßenbahn.

Die heutige Linie U4 (zum Insbrucker Platz, damals Linie B1) fuhr seit 1910 nur innerhalb der damals noch selbständigen Stadt Schöneberg. Der Bau der U3 (ehem. Linie A) mit Anschluss an den Heidelberger Platz begann erst 1910 und die U9 (ehem. G) kam schrittweise ab 1961 hinzu (Anschluss an den Bundesplatz seit 1971).

Die Bedeutung der Südringkurve wird auch daran deutlich, dass sie ganztags im Zehnminutentakt befahren wurde, zudem war hier der Anteil Reisender in der damaligen 2. Wagenklasse deutlich höher, als auf anderen Strecken. Nach Eröffnung des Bahnhofs „Ausstellung“ (später „Westkreuz“) konnten Reisende zusätzlich auch dort zwischen Ringbahn und Stadtbahn umsteigen.

Nach dem Krieg wurde das „Tunnelgleis“ abgebaut, dagegen blieb das Gleis von Halensee nach Charlottenburg für Betriebsfahrten betriebsbereit. Um die begüterten Bewohner von Wilmersdorf wieder für die S-Bahn zu gewinnen (vermutlich auch wegen der bevorstehenden Konkurrenz durch die geplante U9)  baute die DDR-Reichsbahn das abgebaute „Tunnelgleis“ wieder auf und nahm am 16.11.1958 erneut den durchgehenden S-Bahnverkehr auf der Südringkurve auf (Zuglauf Papestraße, jetzt „Südkreuz“ – Halensee – Charlottenburg – Mahlsdorf [später Ostberlin]); ab 31.05.1959 von Grünau [später Ostberlin] über Papestraße nach Mahlsdorf.
Ab 13. August 1961 (Mauerbau der Zugverkehr zwischen ost- und Westberlin wurde eingestellt) fuhren die Züge nur noch zwischen Köllnische Heide – Halensee – Charlottenburg – Zoo und später zeitweise bis zur Friedrichstraße.
Mit dem Streik der Reichsbahner in West-Berlin ab 16./17.09.1980 gab es dann hier keinen Zugverkehr mehr. Dieser wurde auch nach Streikende auf der Südringkurve und dem gesamten Ring in West-Berlin nicht wieder aufgenommen. Die beiden Gleise der Südringkurve blieben liegen. Das Gleis von Halensee nach Charlottenburg wurde mit der Übernahme der S-Bahn in West-Berlin von der Deutschen Reichsbahn durch die BVG am 09.01.1984, durch sie für Betriebsfahrten zum S-Bahnhof Papestraße (jetzt „Südkreuz“) genutzt. Bereits im November 1987 entfiel im Bahnhof Charlottenburg die Weiche, über die bisher die Einfahrt in das „Tunnelgleis“ möglich war.
Während 1989/90 anlässlich des Wiederaufbaus des Südringes das stadteinwärts führende Gleis von Halensee nach Charlottenburg erneuert wurde, erfolgte der Abriss des stadtauswärts führenden Gleises sowie die Zuschüttung des Tunnels im Zuge der Erneuerung der S-Bahnstrecke zwischen Charlottenburg und Westkreuz in den Jahren 2001 bis 2004.

Nachfolgend habe ich zwei Luftaufnahmen (1928 und 2015) gegenüber gestellt. In der Aufnahme von 2015 ist auch heute noch der Verlauf des Tunnelgleises durch die Linie in der Baumwegetation zu erkennen. Auch sind noch Spuren der Tunneleinfahrt aus Richtung Charlottenburg zu erkennen.


Gehen Sie den Weg weiter – entlang des Tunnelgleises auf der linken Seite des Weges – bis Sie zu einer Gabelung kommen. Dort finden Sie Point 3.

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