Worldcafe, Charette Verfahren, Bürgerwerkstatt, Task Force – Zauberworte der sog.“Bürgerbeteiligung“.

 

Halten aber diese Verfahren was sie versprechen oder zumindest suggerieren?

Bedenken sind angebracht


Die Stärkung von Partizipation und Bürger/innenbeteiligung ist erklärtes Ziel der Berliner rot-rot-grünen Koalition. Das erste Stadtforum unter der neuen Regierung fand am 26. Juni 2017 mit rund 650 Teilnehmer/innen in der Kreuzberger Markthalle Neun statt. Der Titel: „Beteiligen! Wie reden wir zukünftig über Stadtentwicklung?“ – die Initiative WestkreuzPark! war dabei.

MieterEcho 390 / August 2017

Der lange Arm der Immobilienlobby
Von „Mietpreisbremse“ bis „Neubauoffensive“: In der Wohnungspolitik hat die große Koalition komplett versagt.

Von Rainer Balcerowiak

In der realen Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik hat der seit Dezember 2016 amtierende rot-rot-grüne Senat noch nicht allzu viel vorzuweisen.Umso agiler zeigt sich die Landesregierung
und allen voran Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) bei der virtuellen Politik.
Bürgerbeteiligung lautet die Zauberformel und im Koalitionsvertrag und in späteren Verlautbarungen ihrer Verwaltung wurde diesem Thema viel Platz eingeräumt.Für mehr Bürgerbeteiligung sollen
„Leitlinien erarbeitet“, „Strukturen und Prozesse gestärkt“ „Onlinepartizipation weiterentwickelt“, „Anlaufstellen geschaffen“ und „Verfahren ausgebaut“ werden, die „niedrigschwelliger, flexibler und repräsentativer sind“. Mit der „Berlin-Strategie“ setze Berlin auf „übergeordnete Instrumente der integrierten Stadtentwicklung“. Dabei würden „eine bespielhafte Beteiligungskultur etabliert“ und „hohe Standards der Mitbestimmung“ umgesetzt, um „das Potenzial des ‚Gemeinsam-Stadt-machens‘ in der Berliner Planungskultur noch stärker zu verankern“.Für derlei Worthülsen gibt es besondersbei den Klientelen der Parteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke großenResonanzboden. Dort wurde die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung in den vergangenen Jahren hauptsächlich dahingehend interpretiert, Wohnungsneubau in „unseren Kiezen“ so weit wie möglich zu verhindern. „Das Neubauklima hat sich deutlich verschlechtert“, warnte Maren Kern, Vorstandsvorsitzende des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), im Juli in der Berliner Abendschau.

Derweil nehme die Wohnungsknappheit immer dramatischere Formen an und habe längst sogenannte Randlagen wie Marzahn und Hellersdorf erfasst.Für Grüne und Linke ist das natürlich ein großes Problem. Denn die Geister, die man in der Opposition rief, wird man jetzt nicht mehr so einfach los. Dennoch will der Senat sein ohnehin wenig ambitioniertes Wohnungsbauprogramm irgendwie in die Spur bringen. Als Morgengabe für die Neubaugegner/innen wurde das größte Neubauvorhaben, die Elisabethaue in Pankow, gestrichen. Ansonsten versucht man, die Szene auf allerlei Spielwiesen ausreichend zu beschäftigen.Ein Konzept, das teilweise aufgehen könnte. So meldeten sich auf dem ersten „Stadtforum“ der neuen Senatorin am 26.Juni in der hippen Kreuzberger „Markthalle Neun“ auch Kritiker/innen zu Wort.

Sie forderten in erster Linie mehr „Beteiligung an der Beteiligungsplanung“ und die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel. Denn der „Zugriff auf die Ressourcen“ der „Stadtnutzer*innen und Initiativen“ und „ihre Expertise und Mitarbeit“ müsse „selbstverständlich angemessen entlohnt werden“, heißt es in einem Positionspapier der Initiative „Stadtforum von unten“. Dieses Forum nutzten auch diverse „Bürgervereine“ und Initiativen, die unter anderem eine Art Anwohner-Vetorecht bei Bauprojekten in der Nachbarschaft oder eine „grüne Stadt“ („Belebung des Konzepts Gartenstadtin allen Stadtteilen“) fordern. Viel Arbeit also für die vom Senat engagierten professionellen Kommunikationsagenturen,die sowohl bei dieser Veranstaltung als auch bei Bürgerversammlungen an geplanten Neubaustandorten eingesetzt werden – oder auch bei der Installierung eines 20-köpfigen „Arbeitsgremiums“ zur Entwicklung von „Leitlinien für die Beteiligungskultur“, für das sich alle Bürger/innen bewerben können.

Widerstand in vielen Stadtteilen
Konflikte zeichnen sich an jeder Ecke ab.Im Entwicklungsgebiet an der Michelangelostraße (Prenzlauer Berg) verlangt die örtliche Initiative, dass die Neubaupläne drastisch zusammengestrichen werden,unter anderem wegen der drohenden Blockierungvon „Kaltluftschneisen“. Streit gibt es auch um das Gelände der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau, das angrenzende Gebiet zwischen Brunsbütteler Damm und Heerstraße, die Bebauung von Parkplätzen in der Lilli-Henoch-Straße
(Pankow), in Blankenburg und in Köpenick,wo es mal wieder um „den Erhalt der gewachsenen Strukturen“ geht. Die Liste ließe sich erheblich verlängern.Für die Lösung dieser und anderer Konflikte bei der Stadtentwicklung soll die „Beteiligungskultur“ eine zentrale Rolle spielen. Doch neu ist dieses Konzept auch in Berlin keineswegs. In Sanierungs-, Quartiersmanagement- und innerstädtischen Fördergebieten („Aktive Zentren“) gibt es seit vielen Jahren unzählige Gremien der Bürgerbeteiligung,von Betroffenen- und Quartiersräten bis hin zu Stadtteilvertretungen. Zu entscheiden haben sie außerhalb von marginalen Etats für kiezbezogene Aktivitäten und Mikroförderungen nichts. Angehörige der Mittelschicht sind dort stets deutlich überrepräsentiert und die sozialen Kernprobleme der betreffenden Stadtteile spielen in der Regel keine Rolle.

Der Soziologe Thomas Wagner beschrieb die Mechanismen der „Beteiligungskultur“ sehr anschaulich in seinem 2013 erschienenen Buch „Die Mitmachfalle: Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ (MieterEcho Nr. 362/ September 2013). Partizipation als einst linke Forderung sei längst von ökonomisch interessierten Kreisen und den Akteuren der „offiziellen“ Politik und der Verwaltung instrumentalisiert worden, um Konflikte im Sinne der eigenen Ziele zu entschärfen,lautet seine Kernthese. Und was bei umkämpften Großprojekten wie dem neuen Stuttgarter Hauptbahnhof S21 oderJahre zuvor beim Ausbau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens hervorragend funktionierte, soll nun auch dem Berliner Senat aus seinem Dilemma bei der Stadtentwicklung helfen.

Inzwischen haben die meisten Berliner Bezirke eigene Richtlinien zur Bürgerbeteiligung entwickelt. So heißt es im entsprechenden Dokument aus Berlin-Mitte: „Die Beteiligungsverfahren sind ergebnisoffene Prozesse. Die Beteiligung startet zu einem Zeitpunkt, an dem ein wesentlicher Entscheidungsspielraum für den Gegenstand der Beteiligung besteht.(…) Die Beteiligten (Verwaltung, Politik und Einwohnerschaft) begegnen einander grundsätzlich auf Augenhöhe.“ Doch genau diese Prämisse wird wenig später mehr oder weniger komplett kassiert: „Die Zielsetzung, der Gestaltungsspielraumund der zeitliche Rahmen werden zu Beginn des Beteilgungsverfahrens deutlich kommuniziert. Ebenfalls werden die rechtlichen und inhaltlichen Grenzen desBeteiligungsverfahrens klar benannt.“

Bürgerbeteiligung als Spielwiese
Dass dies mit „Ergebnisoffenheit“ nichts zu tun hat, liegt auf der Hand. Dagegen wäre auch wenig einzuwenden. Schließlich kann eine Großstadt wie Berlin und selbst ein Bezirk nicht darauf verzichten, die Planungs- und Durchsetzungshoheit für Infrastruktur- und Wohnungsbauprojekte von gesamtstädtischer Bedeutung für sich in Anspruch zu nehmen, auch wenn Partikularinteressen entgegenstehen.Doch der Senat und mit ihm viele Bezirke versuchen, diese simple Tatsache so gut es geht zu verschleiern. Die Fantasie der Verfechter einer neuen „Beteiligungskultur“ kennt da kaum Grenzen.

Gerade im Bezirk Mitte wird da richtig aufgefahren. Schließlich sollen vor allem „Menschen erreicht werden, die in der Regel nicht an Beteiligungsveranstaltungen teilnehmen. In Beteiligungsprozessen sollte verstärkt mit aufsuchender Beteiligung gearbeitet werden. Als Instrumente werden unter anderem benannt: „Mobile Stände auf öffentlichen Plätzen, Zukunftswerkstätten, Visualisierung von Vorhaben durch Modelle oder Animationen, partizipative Stadtteilspaziergänge,
aktivierende Peer-Group-Befragungen,Open Space, World-Café und Vernetzung von Nachbarschaften“.Allein die Wortwahl belegt bereits, dass es vor allem darum geht, die ohnehin Aktiven aus örtlichen Initiativen einzubinden.

Den Kern der ganzen Geschichte brachte auf dem Stadtforum im Juni in dankenswerter Offenheit die als Referentin eingeladene Wiener Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak auf den Punkt. Gelungene Bürgerbeteiligung sei, wenn manden Bürgern zum einen das Gefühl gebe, dass sie frühzeitig einbezogen werden, und zum zweiten von den Bebauungs und Gestaltungsplänen überzeugen könne.Wenn das nicht gelinge, entscheide ohnehin die Politik.

Und das ist auch gut so, ließe sich hinzufügen.Allerdings nur dann, wenn die jeweilige Regierung oder Bezirksverwaltung gerade bei Fragen der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus soziale
Belange in den Mittelpunkt stellt und auch bereit ist, diese gegen egoistische Partikularinteressen durchzusetzen. Und genau davon ist beim rot-rot-grünen Senat ganz bestimmt nicht auszugehen.

 

Lay out Änderungen vom Admin

Anmerkung: Die Ausführungen in diesem Beitrag werden demnächst hier im Blog auf den Workshop zum Westkreuzpark heruntergebrochen und präzisiert.

Veranstaltungshinweise
DIENSTAG 19.12.2017, 19:00 Uhr

10. ABENDSALON DER HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG: Mehr Partizipation in Berlin – Neue Qualität oder Bremsklotz?

Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1
SAMSTAG 03.03.2018, 10:00-17:00 Uhr
14. KOLLOQUIUM DER HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG: 100 Jahre Groß-Berlin 2020 – Die Grünfrage (3)
Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1
 10. ABENDSALON DER HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG 
MEHR PARTIZIPATION IN BERLIN – NEUE QUALITÄT ODER BREMSKLOTZ?

DIENSTAG 19. DEZEMBER 2017, 19 UHR, MÜNZENGERBSAAL, FRANZ-MEHRING-PLATZ 1, 10243 BERLIN

Die Stadtentwicklung Berlins hat in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik ge­wonnen — aufgrund wachsender Bevölkerungszahlen, weil die Stadt stärker in den Fokus internationaler Immobilienunternehmen rückt, aber auch, weil sich die Bewohner*innen immer stärker dafür interessieren, wie sich ihre Quartiere verändern und wie sie sich an der  Stadtentwicklung beteiligen können. Dass Partizipation in der räumlichen Planung an Bedeutung gewinnen soll, ist erklärtes Ziel der Regierungskoalition. Dafür werden aktuell u.a. Leitlinien zur Bürgerbeteiligung erarbeitet und in vielen aktuellen Bauvorhaben – etwa im geplanten neuen Stadtquartier «Blankenburger Süden» – spielt Beteiligung eine große Rolle.
Für viele stadtpolitische Initiativen setzt die Beteiligung jedoch zu spät ein, sie möchten früher mitwirken, nicht erst, wenn es kaum noch Handlungsspielraum gibt. Andere, etwa die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, befürchten, dass die Stadt zu lange auf neue bezahlbare Wohnungen warten muss, weil sich Planungsprozesse durch Beteiligung in die Länge ziehen. Wie kann das Zusammenspiel von Fachwissen, politischen und planerischen Rahmenbedingungen und der Beachtung der allgemeinen Erfahrungen und Wünsche der „betroffenen Bürger*innen” besser funktionieren? Steht Berlin vor einer Beteiligungsblockade? Oder müssen Politik und Verwaltung viel radikaler umdenken und zulassen, dass Partizipation in der Stadtentwicklung zu wirklicher Mitbestimmung wird?

Darüber diskutieren:
— Cordula Fay, Abteilungsleiterin Quartiersentwicklung, degewo
— Ulf Heitmann, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft «Bremer Höhe» eG und Vertreter der «AG Junge Genossenschaften»
— Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, DIE LINKE
— Florian Schmidt, Bezirksstadtrat für Bauen, Planen und Facility Management Friedrichshain-Kreuzberg, B’90/Die Grünen

Den Abendsalon moderiert Thomas Flierl


Allen Interessierten bietet sich Gelegenheit zu Nachfragen, Einwürfen und Kommentaren sowie im Anschluss zum weiteren individuellen Austausch.

Sie sind herzlich eingeladen!

Um Anmeldung wird gebeten: JavaScript is required

Dr. Thomas Flierl, Vorstandsvorsitzender der Hermann-Henselmann-Stiftung

 

November 28, 2017

Schlagwörter: Kommentar, Transparenz, Veranstaltung, Westkreuz, workshop
  • „… Bürgerbeteiligung als Spielwiese
    Dass dies mit „Ergebnisoffenheit“ nichts zu tun hat, liegt auf der Hand. …“
    Auch diesmal, am Westkreuz, kommt bei der ErgebnisPräsentation ein Konzept heraus, dass schon weit vor dem ersten Termin der Bürgerbeteiligung, in der Präsentation des Büros Fugmann Janotta im Umweltausschuss am 21.02.2017 als Optimalvariante vorgestellt wurde.

    Seite / folie 35

    Wozu dienen dann die 4 Termine der Bürgerbeteiligung, in denen vehement einen vollständiger Erhalt der Kleingärten als Planungsziel gefordert wurde?
    Jetzt ist im Konzept geplant -wie schon im Februar 2017 als optimal vorgestellt- fast 50% der Kleingartenfläche aufzulösen…

    Solche Veranstaltungen sind Augenwischerei und nicht zu letzt Steuergeldverschwendung!

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