Die Städte Charlottenburg und Wilmersdorf und ihre gemeinsame Grenze

Gastbeitrag: Dr. Michael Roeder

Das Westkreuzgelände zwischen Wilmersdorf und Charlottenburg

Im folgenden wird es um ein kleines Stück der gemeinsamen Grenze der einst selbständigen Bezirke Wilmersdorf und Charlottenburg gehen und zwar um den Abschnitt zwischen Kracauer(vormals Holtzendorff)platz und Messegelände – oder anders gesagt: um den Grenzverlauf auf dem Kleingartengelände am Westkreuz samt angrenzenden Arealen westlich und östlich. Im Grunde ist dies heutzutage eine eher akademische Frage, denn letztlich war auch nach der Gebietsreform von 1938 das Kleingartengelände weiterhin auf beide Bezirke aufgeteilt, wenn auch in veränderter Weise, was dann aber durch die Bezirksreform zum 1.1.2001 mit der Angliederung von Wilmersdorf an Charlottenburg sowieso gegenstandslos wurde. Aber dennoch könnte diese kleine Betrachtung insofern interessant ein, als sie an die erheblichen Veränderungen in diesem ganzen Bereich erinnert.

Bebauung und Bezirksgrenze 1920
Noch keine zwei Jahre war der Weltkrieg verloren, als das Groß-Berlin-Gesetz am 1.10.1920 in Kraft trat und damit die einwohnermäßig drittgrößte Stadt der Welt (nach London und New York) und flächenmäßig sogar zweitgrößte (nach Los Angeles) schuf. Aber trotz aller Größe: es gab es noch keinen Bahnhof Westkreuz, keine Avus, keinen Funkturm und keine Messehallen. Stattdessen lag seit Eröffnung der Stadtbahn im Jahr 1882 westlich vom Bf. Charlottenburg das Bahnbetriebswerk (Bw) Charlottenburg mit einem 23ständigen Ringlokschuppen und Anlagen für Bekohlung, Wassernehmen und Ausschlacken der Stadtbahnlokomotiven – Spuren davon sind noch an der verwilderten Stelle, die heute ‚Steintal‘ genannt wird, zu sehen. Daran schloß sich ein Gleisknotenpunkt an, der die Züge weiterleitete Richtung Grunewald und Spandau sowie auf die nördliche und südliche Hälfte der Ringbahn, die hier die verlängerte Stadtbahn kreuzte. Zwischen den Gleisen hatte der Unterbezirk Charlottenburg der Bahn-Landwirtschaft seit 1913 seine Parzellen. Die Gleise nach Spandau bogen damals (noch heute andeutungsweise im Gelände erkennbar) etwa auf der Höhe des Wasserturms leicht nach rechts ab und führten auf direktem Weg zum Bahnhof Heerstraße – überquerten also die Stellen, auf denen heute das Westkreuz und der Sommergarten der Messehallen liegen (siehe schwarze Linie auf der Karte). Auf dem Gelände des Sommergartens und südlich davon erstreckte sich damals ein Exerzierplatz, nach 1922 Spiel- und Sportplatz, bis schließlich 1925 das Ausstellungs- und Messegelände dorthin ausgedehnt wurde.

Die Gemarkungsgrenze zwischen den bis 1920 selbständigen Städten Wilmersdorf und Charlottenburg wurde durch das Groß-Berlin-Gesetz nicht angetastet. Folglich verlief auch die gemeinsame Bezirksgrenze entlang der Damaschkestraße und bog westlich vom Hotzendorffplatz in die Heilbronner Straße, der sie bis zum Ende folgte. Von dort traf sie, direkt westlich am Bw Charlottenburg vorbei, quer über das Bahngelände auf das (damalige) Verbindungsgleis zwischen Stadtbahn und Nordring (in Höhe der Großen Kaskade) und folgte ihm bis etwa zum heutigen Kleingärten-Zugang Dernburgstraße. Sie ging dann hinüber zum Gleis Richtung Heerstraße und an ihm entlang, nördlich der Avus-Nordkurve und quer über den späteren Sommergarten, bis kurz vor dem auf Charlottenburger Gebiet liegenden Bahnhof Heerstraße (siehe orangene Linie auf der Karte).

Bezirksgrenze 1920 - 1938
Orangene Linie: Bezirksgrenze 1920, rote Linie: 1938, schwarze Linie: Eisenbahntrasse Richtung Spandau bis 1928. — Karte: https://www.openstreetmap.de/karte.html

Veränderungen in der Bebauung zwischen 1920 und 1938
In den folgenden Jahren wurde das Areal westlich vom Bw Charlottenburg erheblich durch Bebauung verändert. Hier in groben Zügen die wesentlichen Schritte:
• 1921 Avus fertiggestellt
• 1924 Bau der ersten Messehalle auf dem Messegelände, am Ort der heutigen Halle 14 (Messedamm, gegenüber dem ICC; später durch Neubau ersetzt) (vorher gab es schon Messehallen außerhalb des Geländes am Messedamm, und zwar beiderseits nördlich der Kreuzung mit Masurenallee/Neue Kantstraße: Ausstellungshallen am Kaiserdamm)
• 1924/5 Beginn des Baus des Westkreuzes
• 1926 Funkturm eröffnet
• 1927/8 Verlegung der Eisenbahntrasse Charlottenburg-Heerstraße nach Südwesten (südlich der Avus-Nordkurve), um Platz für das erweiterte Ausstellungs- und Messegelände zu schaffen
• 1928 Inbetriebnahme des Westkreuzes als „Ausstellung“ (1932 Umbenennung in „Westkreuz“)
• 1928 weitgehender Abschluß der Elektrifizierung der S-Bahn auf Stadtbahn und Ring
• 1929 Haus des Rundfunks eröffnet
• 1935 Deutschland-Halle (2011 abgerissen)
• 1936/7 verschiedene Gebäude auf dem Messegelände rund um den Funkturm und gegenüber dem Haus des Rundfunks
• 1937 Umbau der Avus-Nordkurve: kleinerer Radius, größere Neigung (1967 abgerissen)

Die neue Bezirksgrenze 1938
Das Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin vom 1.12.1936 bestimmte in seinem § 5 (2): „Anzahl, Grenzen und Bezeichnung der Verwaltungsbezirke werden durch die Hauptsatzung geregelt.“ Die auf Grundlage dieser Satzung erlassenen Ausführungsbestimmungen änderten 1937 das Groß-Berlin-Gesetz und verfügten mit Wirkung zum 1.4.1938 zahlreiche Begradigungen der Bezirksgrenzen sowie einige größere Gebietsänderungen. Beides traf auf diesen Abschnitt zu: Zum einen fiel das Charlottenburger Bahnbetriebswerk an Wilmersdorf, zum anderen gingen das Kleingartengelände nördlich der Stadtbahn, das Westkreuz [siehe auch »hier«], die Avus-Nordkurve und das gesamte Messegelände plus der südwestlich anschließenden Siedlung Eichkamp an Charlottenburg (siehe rote Linie auf der Karte).

Seit 2001
Seit der Angliederung Wilmersdorfs an Charlottenburg im Rahmen der Bezirksreform gibt es für die Kleingärten diese Bezirksgrenze nicht mehr. Stattdessen sind es die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse, die für ihre Zukunft von ganz erheblicher Bedeutung sind: Der Bereich nördlich der Stadtbahn gehört zum Bundeseisenbahnvermögen, das zwischen Stadt- und Fernbahn gelegene Areal (bis zur Ringbahn) hat seit 2019 einen privaten Besitzer, und Eigentümer des dritten Abschnitts südlich der Fernbahn (am Wasserturm) ist DB Netz, vertreten durch DB Immobilien.

Michael Roeder

Quellen:
– Bahn-Landwirtschaft (https://www.blw-aktuell.de/…)
– Bahnhof Berlin Westkreuz (https://de.wikipedia.org/… )
– Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin (1.12.1936) (https://books.google.de/…); => dort § 5 II und Fußnote (aus: Die Entstehung der Verfassung von Berlin. Eine Dokumentation, hg. v. Hans J. Reichhardt, 1990)
– Groß-Berlin(-Gesetz) (https://de.wikipedia.org/…)
– Historische Karten von Berlin ( https://tools.wmflabs.org/…); => dort:
• 1922 Karte von Berlin und Umgebung in 12 Blättern: VI Berlin.
• 1925 Silva-Übersichtsplan von der Stadt Berlin und ihren 20 Verwaltungsbezirken
• 1929 Pharus-Plan Berlin
– Liste der Kulturdenkmale in Berlin-Westend: Nr. 09040498 (Funkturm und mehrere Messehallen) (https://de.wikipedia.org/… )
– Messegelände (Berlin) (https://de.wikipedia.org/… )

Mai 12, 2020

Schlagwörter: Bebauung, Charlottenburg, Park, Politik, Senat, Stadtentwicklung, Westkreuz, Wilmersdorf

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